Im Rahmen von SCALG (Society of Contemporary Literature in German) vom 6. März 2021, auf dem ich meine Erzählung Zamud und einige Gedichte vorlese, ist hier ein Link zu dem Zoom Tagungsausschnitt von der Veranstaltung Telgte in Tucson 3.
Category: Gedichte
Meine Geister
Meine Toten hängen an mir,
sie sind immer da
in meinen Gedanken und Träumen.
Ihre verdorrten Arme
greifen nach mir,
ziehen mich zu sich.
Ich lese die Frage
in ihren leeren Augenhöhlen:
Wann kommst du zu uns?
Meine Kranken wollen Trost,
niemand leidet mit wie ich.
Sie rufen nach mir,
der Brustkrebs, der Beckenbruch,
die Multiple Sklerose.
Der Schlaganfall kann nicht mehr rufen,
das übernimmt der Sohn.
Sie fordern: Sei für uns da.
Trage es mit uns.
Ich hebe den sorgenschweren Kopf
Und schaue in das lächelnde Antlitz
meines Geliebten.
Auch er hat eine Frage:
Wann fängst du an zu leben?
Verzeiht mir
Ich öffne eine Kammer meiner Seele für Euch,
die Ihr keinen Einlass begehrt.
Geschunden und gequält hat man Euch,
vergast, aber nicht vergessen.
Ihr lebt fort in den Erinnerungen
der Davongekommenen
die schwer tragen an der Last
des Überlebthabens
und die Zeugnis abgelegt
und Euch einen Namen, ein Gesicht gegeben haben.
Das Gebet erstickt auf meinen ungeschickten Lippen:
Verzeiht mir, dass ich nicht verhindern konnte
was Euch geschah
Verzeiht mir, dass ich nicht bei Euch war,
das Unerträgliche mit Euch zu tragen.
Verzeiht mir, dass ich noch nicht geboren war,
als man Euer Leben für unwürdig befand.
Ich öffne eine Kammer meiner Seele für Euch.
Verzeiht mir.
Praktisch veranlagt
Wenn du gehst,
werde ich weinen,
jammern und wehklagen werde ich,
als wäre mir ein Kind gestorben.
Wenn du gehst,
wird mein Herz brechen
wie feines Porzellan auf Marmor,
in hundert Stücke.
Wenn du gehst,
wird nichts mehr sein
wie es war.
Widerliche Freiheit!
Wenn du gehst,
nimm den Müll mit.
Morgens
Die Fenster weit geöffnet
um den Duft der Vögel
und das Singen der Blumen
herauszulassen in die Natur
in der Tautropfen sich dunkel
auf braunes Gras gelegt haben
Wie Narben auf einem Körper
durchschneiden die Fußabdrücke
der Käfer in bizarren Linien
den Sand unter dem Haus
Ächzend reckt sich Holz
dem Mond entgegen
der heller als die Sonne
alles in feuchtgrünem Licht ertränkt
Erkenntnis
Du kannst nicht!
Du darfst nicht!
Du sollst nicht!
Du mußt!
Verbale Schläge erzeugen viel Frust
Ich lieb dich!
Ich hass dich!
Ich laß dich!
Jetzt geh!
Die Worte der Liebe tun manchmal so weh
Wir leiden
wir lachen
wir leben
so kurz
Im Grunde ist alles unglaublich schnurz